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Mit Derrida teilt Pasolini noch etwas anderes: In der Zeit um 68, als Derridas wichtige frühe Arbeiten zur Dekonstruktion des Abendlandes erschienen, beschäftigte sich auch Pasolini intensiv mit abendländischen Gründungstexten: Sein Drehbuch zum nicht mehr ausgeführten Film „San Paolo“ (erste Fassung 1968, posthum erschienen 1977); sein Film „Edipo re“ aus dem Jahr 1967; seine Transformation der Frage eines revolutionären Christentums, die er schon 1964 in seinem Film „Il vangelo secondo Matteo“ behandelte, in die Gegenwart in seinem Film „Teorema“ (1968); die „Appunti per un'Orestiade africana“ aus dem Jahr 1969/70, das Theaterstück „Pilade“ (1966-70), sein Film „Medea“ aus dem Jahr 1969 etc.
An dieser Beschäftigung mit abendländischen Grundtexten interessieren uns besonders Pasolinis vielfältigen Dezentrierungen und Verschiebungen, die zu etwas führen, was man versuchsweise als eine „euroexzentrische“ Positionalität bezeichnen könnte. Pasolini war ein europäischer Intellektueller par excellence, der sich ernsthafter und tiefer als die meisten anderen mit dem europäischen Erbe auseinandersetzte, der sich aber gleichzeitig mit großer Intensität und Leidenschaft für die damals so genannte ‚Dritte Welt’ interessierte, was seine vielen Texte dazu ebenso belegen wie seine wiederholten Reisen nach Indien und besonders nach Afrika. Nachdem er hatte mit ansehen müssen, wie die italienische bäuerliche Welt ebenso widerstandslos wie das Subproletariat der römischen und neapolitanischen Vorstädte von dem Kapitalismus und Konsumismus integriert und assimiliert wurden, setzte er in den 60er Jahren in den noch nicht industrialisierten Räumen Asiens und besonders Afrikas seine antikonsumistischen, antikapitalistischen Hoffnungen. >>>
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