| |
Vergangenheit und Gegenwart scheinen hier in Form einer gegenstrebigen Fügung so vermittelt zu sein, dass sie nicht ineinander fallen, sondern vielmehr so, dass die klassischen Stoffe durch gegenwärtige Geschehnisse neu lesbar werden und umgekehrt die klassischen Mythen und Gründungstexte der abendländischen, europäischen Tradition als Amplifikatoren für eine neue, intensivere und kritische Wahrnehmung der Gegenwart fungieren.
Wenn das stimmt, dann stellt sich die Frage, wie Pasolini der Gefahr der Ästhetisierung zu entgehen versuchte. Gerade beim heutigen, postkolonial sensibilisierten Zuschauer, drängen sich beim Anschauen der „Orestiade“ unmittelbar kritische Fragen auf: Offenbart Pasolinis Umgang mit den Afrikanern einen ästhetisierenden, exotisierenden, kolonialisierenden Blick? Liegt in seinem Versuch, im gegenwärtigen Afrika die Wiederholung von Entwicklungen zu erblicken, die Europa längst hinter sich hat, nicht selbst dann ein Eurozentrismus verborgen, wenn man, wie Pasolini, diese Entwicklungen ablehnt?
Vielleicht aber gibt es Gründe zu vermuten, dass sich Pasolini durchaus bewusst als ein naiver Zivilisator inszenierte, um sich zum Katalysator einer dadurch in Gang gebrachten Kritik von Seiten der afrikanischen Studierenden zu machen. Das Irritierende erschiene dann plötzlich als Köder, mit dem uns Pasolini an unseren moralischen oder moralistischen Reflexen und Automatismen packt und uns anschließend an der Nase herumführt.
Weiter verkompliziert sich die Lösung der „Orestiade“, wenn man sie zusammen mit den etwa gleichzeitig entstandenen Werken „Pilade“ und „Medea“ liest. Pasolini verleiht Pylades, dem Freund Orestes’, der in klassischen Texten kaum eine Stimme hat, eine Subjektivität, die als Pasolinis Selbstporträt gelesen werden kann und Aporien effektiven Widerstands gegen Unterdrückungsstrukturen freilegt. >>>
|
|
