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Was in der „Orestiade“ im Horizont einer fragilen Harmonie und Synthese sichtbar wird und in der „Medea“ als blutige und tragische Konfrontation des Unvereinbaren, wird in Pasolinis Drehbuch „San Paolo“ in einer dritten Weise durchgespielt. Hier erscheint die grundlegende Spannung weder in Form eines antagonistischen Konflikts noch einer harmonisierenden Synthese, sondern vielmehr in Form einer Internalisierung der Spannung ausgedrückt: Medea und Jason sind sozusagen zwei kippbildartige Aspekte von Paulus. Paulus hat bei Pasolini im wahrsten Sinne des Wortes zwei Gesichter, kippt beinahe unvermittelt von einem leidenschaftlich-politisch Liebenden zum Pragmatismus und Machtwillen des Kirchengründers. Vergleichbar mit Pylades wird Paulus selbst zum alter Ego Pasolinis, wird eingeschrieben in eine Spannung zwischen einem Pharisäertum, das sich „innerhalb der Norm und Legalität bewegt und gewisse Privilegien genießt“, und einem exstatischen, mystischen, exzessiven ‚nächtlichen’ Paulus, „der unter Qualen nachts heilige Gesänge anstimmt.“[6]
Auch hier ist es die anachronistische Verlegung einer zentralen abendländischen Erzählung in das 20. Jahrhundert, durch die komplexe, widersprüchliche, anstößige, verwirrende Relationen entstehen: z. B. zwischen Römischem Imperium, deutschen Nazis und amerikanischen Soldaten, wodurch die Befreier von Auschwitz zu Komplizen der Nazis reduziert werden. Nicht weniger anstößig erscheint die Stellung der Juden: Die Pharisäer rücken bei Pasolini in die Rolle von Kollaborateuren, Christen in die Nähe der verfolgten Juden im Dritten Reich.
Pasolinis „San Paolo“ ist auch aus einem weiteren Grund interessant: Vor dem Hintergrund der wegweisenden Arbeiten von Alain Badiou und Giorgio Agamben zu Paulus ist eine sorgfältige Analyse dieses komplexen Werkes Pasolinis von großem Interesse, nicht zuletzt deswegen, weil Agamben bekanntermaßen einer der Darsteller in Pasolinis „Il vangelo secondo Matteo“ war; auch das Buch, gegen das sich Agamben in seinem „Il tempo che resta. Un commento alla ‚Lettera ai romani’“ (2000) implizit richtet, Alain Badious „Paulus. >>>
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